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EVENT-TOPTIPP: SEPTEMBERTHEATER: „Der gute Mensch von Sezuan“ – eine tiefgründige und humorvolle Parabel über die Facetten des Lebens!
Text: Andrea Beckert, Sujet: Clemens Künzel, Fotos: Gerhard Maly (7), Barbara Pálffy (5)
Kottingbrunn / Wien, 07.09.2024. Bertolt Brecht zählt zu den meistgespielten deutschsprachigen Theaterautoren des 20. Jahrhunderts. Sein Stück „Der gute Mensch von Sezuan“ ist eine tiefgründige und humorvolle Parabel über Egoismus und Solidarität, Liebe und Misstrauen, Gewinnmaximierung und Opferbereitschaft, Unrechtsbewusstsein und Neid. Bertolt Brecht rückt darin das „Gutsein“ des Menschen in den Fokus: Das ist bekanntlich gar nicht immer so einfach – das war zu Brechts Zeit schon so und hat sich bis heute nicht geändert. Naheliegend, dass die Kulturszene Kottingbrunn in ihrem alljährlichen Septembertheater die aktuelle Komödie „Der gute Mensch von Sezuan“ mit großem Ensemble bestehend aus Profi- und Amateurschauspieler*innen unter der Regie von Anselm Lipgens auf die Bühne bringt.
Ihre bemerkenswerte Premiere feierte „Der gute Mensch von Sezuan“ am 6. September 2024 im Wasserschloss Kottingbrunn. Gespielt wird den ganzen September, jeweils Freitag bis Sonntag. Es gibt noch Karten! Prädikat: absolut sehenswerte! |
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Über den Autor Bertolt Brecht:
Bertolt Brecht, eigentlich Eugen Berthold Friedrich Brecht (* 10. Februar 1898 in Augsburg; † 14. August 1956 in Ost-Berlin) gilt als einer der bedeutendsten Ly-riker und Dramatiker des 20. Jahrhunderts in Deutschland und als Mitbegründer des „epischen Theaters“. Seine Werke werden weltweit erfolgreich aufgeführt. Zu seinen bekanntesten Stücken zählen
„Die Dreigroschenoper“, „Mutter Courage und ihre Kinder“, „Leben
des Galilei“, „Die heilige Johanna der Schlachthöfe“.
Zum Inhalt:
Schauplatz ist die chinesische Provinz Sezuan (stellvertretend für alle Orte, an denen Menschen von Menschen ausgebeutet werden).
Shen Te: „Euer Befehl, gut zu sein und doch zu leben, zerriss mich wie ein Blitz in zwei Hälften …“
Kann man in unserer Welt ein „guter Mensch“ sein? Den Göttern ist zu Ohren ge-kommen, dass die Menschen daran zweifeln, ja, dass sogar einige Götter daran zweifeln. Daher werden drei Abgesandte auf die Erde geschickt, um einen guten Menschen zu suchen. Der arme Wasserverkäufer Wang führt die Götter zu der Prostituierten Shen Te. Trotz ihrer Armut gewährt sie den drei Göttern Obdach. Dafür wird sie von ihnen reich belohnt und Shen Te eröffnet von dem Geld, das ihr die Götter geben, einen Tabakladen. Von nun an ist sie bestrebt, stets im Sinne der Götter zu handeln, um ein „guter Mensch“ zu sein – doch das wird ihr schnell zum Verhängnis. Schon bald wird Shen Te „Engel der Vorstädte“ genannt und sie wird für ihre Gutherzigkeit ausgenutzt: von Nachbarn, Bekannten und Geschäftspartnern. Shen Te erkennt schließlich, dass ihre Hilfsbereitschaft sie in den Ruin treibt. Und so erfindet Shen Te einen skrupellosen Vetter, Shui Ta, der immer wieder auftaucht, um ihre Angelegenheiten zu regeln und dabei sehr ge-nau aufs Geld schaut.
Dann begegnet Shen Te dem stellungslosen Flieger Yang Sun. Er will Suizid be-gehen. Shen Te rettet ihn und sie wird seine Freundin. Er will Flieger werden, dafür braucht er 500 Silberdollar, um einen Mitarbeiter bei der Fluggesellschaft in Peking zu bestechen. Shen Te gibt ihm ohne Zögern 200 Silberdollar, die sie zuvor bei dem alten Teppichhändlerehepaar Frau und Herr Deng geliehen hat, um davon die Miete für den Laden zu bezahlen. Yang Sun entschließt sich, in Shui Ta‘s Tabakfabrik zu arbeiten. Nach einer Weile wird er zum Aufseher und schließlich zum Prokuristen befördert. Shen Te und der Flieger Yang Sun wollen aus Liebe heiraten, doch die Hochzeit fällt ins Wasser. Die Miete ist noch ausste-hend und man rät Shen Te, einen vermögenden Mann, den reichen Barbier Shu Fu, zu heiraten, um die Geldsorgen ein für alle Mal loszuwerden.
Shen Te stellt fest, dass sie schwanger ist. Nur die Witwe Shin kommt hinter Shen Te‘s Geheimnis und wird gegen finanzielle Entschädigung zu ihrer Vertrau-ten. Nun ist sie für längere Zeit auf Shui Tas Geschäftstüchtigkeit angewiesen. Der Wasserverkäufer Wang und einige andere Nachbarn beginnen sich um Shen Te‘s Verbleib Sorgen zu machen und wollen sie wiederfinden.
Shui Ta kommt vor Gericht, das von den drei Göttern gebildet wird. Shen Te gibt ihnen ihre wahre Identität preis und erzählt ihre Geschichte.
Ob Shen Te ein guter Mensch ist, bleibt am Ende offen. Die Zuschauer*innen werden aufgefordert, über das Geschehen
selbst nachzudenken. Jede und jeder soll selbstständig die Antworten auf die offengelassenen Fragen finden: Gibt es einen wahr-haft guten Menschen überhaupt? Wie kann ein guter Mensch leben? Lohnt sich Nächstenliebe?
Die berühmten letzten Sätze in Brechts Lehrstück des epischen Theaters lassen das Publikum mit dem
Ende allein: „Verehrtes Publikum, los, such dir selbst den Schluss! Es muss ein guter da sein, muss, muss, muss!"
Über die erfolgreiche Premiere:
Dank des gut bewährten Leading-Team konnte das starke Ensemble ihre Figu-ren so gut umzusetzen: In ihrer fordernden Doppelrolle Shen Te und Shui Ta brillierte die ungemein facettenreiche Samantha Steppan. Mit gekonnt gesetz-ten Nuancen in Mimik und Gestik differenziert sie zwischen Shen Te, der gut-herzigen und hilfsbereiten Prostituierten und späteren Besitzerin eines kleinen Ta-bakladens, und dem angeblichen Vetter Shui Ta, der als skrupellos, egoisti-scher und nur auf Profit orientierter Geschäftsmann immer dann auftaucht, wenn Shen Te in Schwierigkeiten ist. Shen Te‘s treuer Freund, der Wasserver- |
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käufer Wang, verkörperte der wunderbare Leopold Dallinger. Er führte das Publikum in das Stück ein und fungierte als Verbindung zwischen den Göttern und der Handlung. Als die drei Götter begeisterten Franz Grünwald, Simon Stadler-Lamisch und Rebecca Varga das Publikum. Nicole Gerfertz-Schiefer schlüpfte in die Rolle der Witwe Shin, die hinter das Geheimnis von Shen Te kommt. Shen Te‘s Gutmütigkeit wurde von Enisa Meindl als Frau Ma Fu (Tabak-händlerin), Walter Tlapak als Herr Ma Fu, Yara Winter als Nichte Wung, Martin Hauer als Arbeitsloser und Gabriele Mattehs als Schwester Wung ausgenutzt. Überzeugend mimte Rafael Wieser den stellungslosen Flieger Yang Sun, der Shen Te um ihr Geld betrügt und als Verlobter von Shen Te schließlich in Shui Ta‘s Tabakfabrik zum Prokuristen befördert wird. Martina Gutmann wollte als ehrgeizige Frau Yang für ihren Sohn Yang Sun nur das Beste. Franz Schiefer hatte als reicher Barbier Shu Fu nur Augen für Shen Te. Regina Brunner als Tischlerin Lin To und Astrid Krizanic-Fallmann als Hausbesitzerin Mi Tzü mit ihrem Schoßhündchen waren ebenfalls nur am Geld von Shen Te interessiert. Als hilfsbereites Teppichhändlerehepaar Frau und Herr Deng waren Walburg Weissenböck und Franz Zimmermann zu erleben. In weiteren Rollen bewährt haben sich Heinz Scharb als Polizist, Leopold Brunner als Großvater Ma Fu und Tobias Panzenböck als Sohn Ma Fu.
In seiner rund 2 ½-stündigen Inszenierung (plus 20 Minuten Pause) warf Regis-seur Anselm Lipgens einen überraschend heutigen Blick auf soziale Kälte, Ängste und Hoffnung. Es wäre nicht Anselm Lipgens, wenn er sich nicht wieder etwas ganz Spezielles für die Septemberproduktion ausgedacht hätte. Er hat eine außergewöhnliche Raumaufteilung geschaffen, die es den Schauspieler*in-nen ermöglichte, den Ort des Geschehens schnell zu wechseln. So wurde das Publikum durch die Bühne auf zwei Seiten aufgeteilt. „In Brechts Theaterstück tragen alle Menschen Masken, alle zeigen Fratzen, verschwören sich, hinterge-hen einander, doch immer nur nach bestem Wissen und Gewissen. Guter Mensch versus Gutmensch, und über die Definition dieses „gut“ lässt sich treff-lich streiten. Doch Brecht legt seine bissige Komödie so humorvoll und poe-tisch, so witzig und musikalisch, so berührend und menschlich an, dass dem Publikum die „Botschaften“ während eines großen und verlockenden Theaterer-lebnisses schonungslos und unfreiwillig ans Herz gehen“, verspricht Regisseur Anselm Lipgens.
Für die Kompositionen der Kottingbrunner Inszenierung zeich-nete Fritz Rainer (drums, electronics) verantwortlich, der
auch mit Roxanne Szankovich (violin, e-violin, electronics) als Livemusiker auf der Bühne stand. Die
tollen Kostüme mit sehr viel Jeansstoff stammten von Katharina Kappert. Bernhard Hitzenhammer (Lichtdesign, Ton) und Martin Zumtobel (Licht, Ton) rückten die Schauspieler*innen ins rechte Licht und sorgten für den guten Ton.
Fazit:
Das Stück von Bertolt Brecht „Der gute Mensch von Sezuan“ hat nichts an Aktua-lität verloren. Sozialkritisch, bissig, aber mit Charme – all das ist die tiefgründi-ge und humorig-bittere Parabel über Egoismus, Solidarität, Liebe, Misstrauen, Opferbereitschaft und Neid.
Zum Schluss gab es für das Team hinter der Bühne sowie für Profi- und Ama-teurschauspieler*innen gleichermaßen tosenden Applaus und „Bravo!“-Rufe.
Nach der Vorstellung ging das Publikum ein wenig nachdenklicher, ein wenig hilfsbereiter, ein wenig menschlicher nach Hause, als man hingekommen war. So war es bei der Premiere, so wird es wohl auch bei den restlichen Vorstellun-gen sein.
Tipp: Und weil ich finde, dass man diese Produktion gesehen haben muss, eig-net sich „Der gute Mensch von Sezuan“ damit besonders gut für einen Wochen-endausflug nach Kottingbrunn.
UNISEX-Bewertung: 4,5 von 5 gute Punkte
Der gute Mensch von Sezuan
06. (Premiere) – 08.,
13. – 15., 20. – 22. & 27. – 29.09.24, Kulturszene Kottingbrunn, Markowetztrakt
Schloß 1, 2542 Kottingbrunn
Kartenreservierung: Telefon: +43 2252 74383, office@kulturszene.at, www.kulturszene.at |
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