Persönliches Vorwort:
Zitat aus dem Stück: „Wenn jemand stirbt, sagen die Leute lauter schöne Sachen über ihn.“
Vorab, hier ist niemand gestorben, dennoch fühlt sich das Schreiben dieses Nachberichts ähnlich an, wie das Verfassen einer Trauerrede. Ich schreibe den Text mit einem lachenden und einem weinenden Auge. Lachend, weil es ein be-wegender Theaterabend war – weinend, weil die letzte Vorstellung dieser sehr berührenden Produktion leider bereits stattfand.
Nach meinem anfänglichen Zweifel, ob dieses emotionale Stück nicht zu bedrü-ckend ist, kann ich hier nur Positives berichten. Denn es gibt sie, die seltenen Momente, in denen einfach alles passt – Stückauswahl, Regie, Musik, Bühnen-bild und talentierte Darsteller – genau dies bekam das Publikum Freitagabend im Theater Spielraum zu sehen, hören und fühlen.
Über das Stück:
Das Kammermusical „Die Geschichte meines Lebens“ (englischer Originaltitel „The Story of My Life“) nach dem Buch von Brian Hill und mit Musik und Lied-texten von Neil Bartram in der deutschen Fassung von Daniel Große Boymann ist ein Tribut an die Kraft der Freundschaft und an jene Menschen, die unser Leben bereichern.
„The Story of My Life“ wurde am 2. November 2006 am Canadian Stage Com-pany’s Berkeley Street Theatre in Toronto, Kanada uraufgeführt, in der Folge produziert von Goodspeed Musicals (Produzent: Michael P. Price).
Inhalt:
Ort, Zeit: irgendeine Kleinstadt, irgendwann.
Alvin Kelby ist unter mysteriösen Umständen von einer Brücke gestürzt wie George Bailey, die Hauptfigur aus dem Weihnachtsfilm „Ist das Leben nicht schön?“, den sich die Jugendfreunde Thomas Weaver und Alvin Kelby jedes Jahr gemeinsam angesehen haben.
Der Bestsellerautor Thomas Weaver kehrt in die Kleinstadt zurück, in der er auf-wuchs, um einen Nachruf auf seinen ehemaligen besten Freund, den Buchhänd-ler Alvin Kelby, zu halten.
Doch Thomas leidet an einer Schreibblockade und ihm wollen nicht die richti-gen Worte für die Trauerrede einfallen. Da taucht plötzlich Alvin in Thomas Un-terbewusstsein auf und Alvin versucht mit den Worten „Schreib, was du weißt“ Thomas beim Verfassen des Nachrufs behilflich zu sein.
In Rückblenden durchleben sich noch einmal ihre vielen Geschichten aus ihrer gemeinsamen Vergangenheit: vom Beginn ihrer Freundschaft im ersten Schul-jahr – den legendären Halloween-Partys von ihrer bärtigen Lehrerin „Miss Wilkin-son“– von Schneeengeln und vom Aussuchen des perfekten Weihnachtsge-schenks für Thomas, dem Buch „Tom Sawyer“, welches in Thomas den Wunsch weckt, Schriftsteller zu werden – die Beerdigung ihrer geliebten Lehrerin Miss Wilkinson, die jetzt an einem besseren Ort ist, und Thomas und Alvin sich schwören, jeweils die Trauerrede für den Freund, der eher stirbt, zu halten – über einen Schmetterling und den Schmetterlingseffekt – Alvins Unabhängig-keitstag, nachdem Alvins Vater gestorben war und Alvin den Buchladen über-nommen hat – Thomas Aufnahme am College und ihre Treffen nur mehr zu Weihnachten. Dann bricht der Kontakt ab, da Thomas aus beruflichen und pri-vaten Gründen sich nicht mehr die Zeit für ihre Freundschaft nehmen kann und möchte. Als Alvin Thomas bittet, bei der Beerdigung seines Vaters die Trauerre-de zu halten und Alvin mit Thomas‘ Text unzufrieden ist, kommt es zum Streit und die Freundschaft zerbricht. |
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Nur für den Schluss, Alvins‘ Tod, kann Alvin seinem Freund keine Geschichte geben, da dieser Moment nicht Teil ihrer gemeinsamen Vergangenheit ist.
Immer wieder quälen Thomas die Frage, was Alvin in den Selbstmord getrieben haben könnte und ob er vielleicht daran eine Mitschuld trägt.
Erst in der Erinnerung erkennt Thomas, dass Alvins Geschichten das Geheimnis seines Erfolges waren. Thomas kommt zur Erkenntnis, dass Alvin in seinen Ge-schichten weiterleben soll und muss und was die Grundlage jeder wunderbaren Freundschaft ist: die Liebe.
Schlussendlich schafft es Thomas, den Nachruf auf seinen Freund zu verfassen und vor der Trauergemeinde zu halten.
Fazit über die Dernière:
Robert G. Neumayr inszenierte mit viel Fingerspitzengefühl dieses auf das We-sentliche reduzierte Zweipersonenstück – Schauspiel und Gesang. Auf der klei-nen, intimen Bühne stand ein kongeniales Duo – Christof Messner und Aris Sas. Sie lachten, kämpften und trauerten – und die anwesenden Zuschauer*innen fühlten mit ihnen. Außerdem sangen die beiden ohne Mikrofone, so kamen ihre herausragenden Stimmen besonders gut zur Geltung. Die facettenreiche Rolle des Thomas Weaver, vom frechen Jungen bis zum ausgebrannten Erfolgsautor, verkörperte Christof Messner, ganz in schwarz gekleidet, glaubwürdig. Ganz wunderbar mimte der stimmgewaltige Aris Sas den verstorbenen Freud Alvin Kelby, ganz in weiß gekleidet, der voller Lebensfreude sprühte und auch ein bisschen an die Rolle des Engels Clarence aus „Ist das Leben nicht schön?“ er-innerte. Zusätzlich konnte Aris Sas als liebenswürdiger, ein wenig naiv-ver-träumter Alvin, der nie seine Heimatstadt verlassen hat, weil er pflichtbewusst den Buchladen seines Vaters übernahm, auch seine Spielfreude unter Beweis stellen.
Die Musik setzte wichtige Akzente, untermalte die Stimmung wunderbar – mal sanft und melancholisch, mal kraftvoll und aufwühlend. Hinter großen weißen Tüchern musizierte live ein kammermusikalisches Trio aus Klavier (Bern-hard Jaretz, musikalische Leitung), Cello (Maike Clemens / Margarethe Vogler (alt.)) und Reed (Nina Reichl / Sebastian Gerhartz
(alt.)).
Das auf das Wesentliche reduzierte Bühnenbild von Anna Pollack war komplett in Weiß gehalten, ebenso die sparsamen Requisiten, wie umhüllte Würfel, die z.B. als Sitzgelegenheiten, Tisch oder Rednerpult dienten. Die im Hintergrund gespannten Tücher fungier-ten als Projektionsflächen für Fotos und Videos. Wunderbare Lichtprojektionen von Tom Barcal sorgten für eine intime und warmherzige Atmosphäre. Trotz dem bedrückenden Inhalt hatte das Stück auch einige humorvolle Stellen und regte zum Nachdenken an. Trauern, weinen, streiten, sehnen, lieben, träumen und ein bisschen lachen – dieses Off-Broadway-Musical bot die ganze Bandbreite menschlicher Emotionen.
Das restlos begeisterte Publikum wurde von der ers-ten Sekunde in den Bann gezogen. Selbstverständlich endete die Dernière mit minutenlangen Standing Ovations.
Kurz gesagt: „Die Geschichte meines Lebens“ war für anspruchsvolle Musical-Liebhaber, die auf spektakuläre Bühnen-effekte und kunterbunte Kostüme ver-zichten können, dafür Wert auf exzellen-tes Schauspiel und herrlichen Gesang legen, genau das Richtige. Chapeau!
UNISEX-Bewertung: 5 von 5 Punkte
Die Geschichte meines Lebens
19.03. – 11.04.25, Theater Spielraum
Kaiserstraße 46, 1070 Wien
www.theaterspielraum.at |