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EVENT-TIPP: IM GRAUEN RÖSSL – fröhliches Impro-Theater unter freiem Himmel!
Text und Fotos: Andrea Beckert
Wien, 7. Juli 2021. 1909 wurde die „Tschauner Bühne“ gegründet und ist heute das letzte regelmäßig bespielte Stegreiftheater Europas. Die Wiener Institution ist seit nunmehr sechs Jahrzehnten in der Ottakringer Maroltingergasse beheimatet und blickt auf eine lange und bewegte Geschichte zurück. Das „Stegreifspiel der Tschauner Bühne“ wurde 2018 von der österreichischen UNESCO-Kommission zum immateriellen Kulturerbe ernannt. Heuer macht sich ein neu formiertes Stegreif Klassik-Ensem- ble, bestehend aus altbekannten Tschauner Publikumslieblingen und neugewonnenen Impro-Schau- spielerInnen, unter der künstlerischen Leitung von Jürgen Kapaun auf, um dieses Kulturerbe zu pflegen und weiter zu entwickeln. Mit neuen Stücken widmet man sich dieser Spielform auf der Kult-Bühne im 16. Wiener Gemeindebezirk. An einem lauen Sommerabend, dem 6. Juli 2021, feierte nach einer Idee von Christian Filek „Im grauen Rössl“ aus der „Stegreif Klassik“-Reihe eine umjubelte Premiere auf der Tschauner Bühne. Völlig aus dem Stegreif: Eine ganz klare Weiterempfehlung! Zur Fotogalerie (20 Fotos) ...
Beispiele für Stegreif:
Der künstlerische Leiter des neu formierten Stegreif Klassik-Ensemble Jürgen Kapaun behauptet, jeder kann improvisieren, schließlich improvisieren wir den ganzen Tag. Wir setzen immer spontane Handlungen, bei- spielsweise, ob bzw. wie wir im Lokal unser Schnitzel ganz ohne Vorbereitung bestellen. Hier ein weiteres Beispiel: ein Nachbericht über die tolle Premiere von „Im grauen Rössl“.
Dies ist ein völlig aus dem Stegreif geschriebener Text. Nur die Reihenfolge des Berichts (Überschrift, Ein- leitung, Beispiele für Stegreif, Inhalt des Stücks, Fazit und weitere Tipps) sind festgelegt, die Worte sind dem Einfallsreichtum der Journalistin überlassen. Für die Leserinnen und Leser ergibt sich dadurch ein subjektiver Rückblick mit einer ehrlichen Meinung. Nun liegt es an Ihnen, liebe Leserin, lieber Leser, und an Ihrem Improvisationstalent, ob Sie weiterlesen, wie Sie auf diesen Text reagieren und ob Sie vielleicht der Empfehlung folgen: gleich Tickets zu bestellen!
Inhalt:
„Im grauen Rössl“, Idee: Christian Filek
Dies ist keine Fortsetzung des berühmten „weißen Rössls“, auch wenn mitunter die Charaktere bekannt vorkommen.
Einst war das Hotel „Graues Rössl“ der Hotspot für die Schönen und Reichen, zu den Hotelgästen zählten Marika Rökk, Waltraud Haas, Helene und ihr Florian, Dieter Bohlen und viele mehr. Jetzt ist das Hotel abge- wohnt, das nötige Kleingeld für Renovierungen fehlt.
Nach einer wirtschaftlich schweren Zeit liegt das ehemals erfolgreiche Hotel „Graues Rössl“ im Dorn- röschenschlaf, ähnlich wie die Ehe der Wirtin Josepha mit ihrem ehemaligen Zahlkellner und nunmehrigen Wirtgemahl Leopold. Im Gastgarten wird munter billiger Wein aus Doppler-Flaschen konsumiert. Schon lange hat kein Dampfer neue Gäste gebracht, das Personal ist unterfordert,
mitten in der alpinen Idylle am Schlunzelsee herrscht Langeweile. Der ehemalige Piccolo heißt jetzt Theresa, und sie sprudelt nur so vor Ideen, um neue Gäste anzulocken. So möchte Theresa am liebsten einen Sandstrand aufschütten, das Hotel in den Sozialen Medien bewerben und am besten gleich den Ort in „Bad Zifik“ umbenennen. Einzig ein ver- bliebener deutscher Stammgast, Wilhelm, ist wie jedes Jahr angereist und auch der scheint nur für ein letztes Lebewohl erschienen zu sein.
Kathi, die Briefträgerin, ist jetzt Postpartnerin, bringt leider schlechte Nachrichten. Aufgrund von Zahlungs- verzug von offenen Rechnungen soll das Hotel in 30 Tagen Zwangsversteigerung werden.
Inzwischen ist auch der zwielichtige Rechtsanwalt im Hotel eingetroffen. Sowohl der langjährige deutsche Stammgast als auch der Rechtsanwalt wollen im einzigen Zimmer mit Balkon wohnen – folglich kommt es zum Streit und zu Handgreiflichkeiten.
Als der zwielichtige Rechtsanwalt das Hotel im Namen russischer Investoren kaufen möchte, schöpft die Wirtin wieder Hoffnung und Lebensfreude. Aus Eifersucht und Angst um das Hotel versucht ihr Gatte Leopold den Plan zu vereiteln und schreckt auch nicht vor übersinnlichen Täuschungen zurück. Als dann auch noch Seine Majestät, Kaiser Franz Joseph, direkt aus der Kapuzinergruft kommt, um an seinem heim- lichen Lieblingsort nach einem bestimmten Satz zu suchen, nimmt das Chaos Fahrt auf und turbulente Verwicklungen sind vorprogrammiert.
Was hat der schmierige Rechtsanwalt mit dem maroden Hotel vor? Mit welchen außergewöhnlichen Maß- nahmen kann das Hotel vor der Zwangsversteigerung gerettet werden? Und welche Rolle spielt dabei Seine Majestät, Kaiser Franz Joseph? Antworten auf diese Fragen erhalten Sie in den nächsten Vorstellungen
auf der Tschauner Bühne.
Fazit:
„Im grauen Rössl“ ist keine Operette! Aus diesem Grund vermisste am Premierenabend niemand die Ohr- würmer. Im ersten Teil lag eine gewisse Melancholie in der Luft, sollte doch das ehemalige Hoteljuwel zwangsversteigert werden. Mit zunehmendem Chaos und turbulenten Verwicklungen im zweiten Teil steigerte sich auch die Pointendichte zur großen Freude der Premierengäste.
Jürgen Kapaun (Spielleiter und Schauspieler), Petra Fibich-Patzelt und Andreas Schmidinger (Bühnen- bild), Juergen Christian Hörl (Kostümbild) und Judith Holl (Produktionsleitung) ebneten mit ihrer gelun- genen Inszenierung den Weg für die Darsteller auf der Bühne. Folglich begeisterten alle Mitglieder des Stegreif Klassik-Ensembles in ihren Rollen. Manuela Stachl mimte die gar nicht mehr so resche „Graue Rössl“-Wirtin Josepha. Ein Wechselbad der Gefühle – von die Ruhe in Person über Eifersucht bis über beide Ohren verliebt – durchlebte Markus Richter als ehemaliger Zahlkellner und nunmehriger Wirtgemahl Leopold. Sarah Baum, der Piccolo heißt jetzt Theresa, sprudelte nur so vor Energie und Ideen. Ursula Anna Baumgartner verkörperte die ehemalige Briefträgerin Kathi, die im Rahmen von Umstrukturierungsmaß- nahmen zur Postpartnerin degradiert wurde. Christian Schiesser verkörperte den deutschen Stammgast Wilhelm, mit dessen Hilfe das Hotel gerettet werden soll. Jürgen Kapaun lies als zwielichtiger Rechtsanwalt seinen ganzen Charme auf der Bühne spielen, um die Wirtin um den kleinen Finger zu wickeln. Mit dem Auftritt vom wunderbaren Thomas Schreiweis als Seine Majestät, Kaiser Franz Joseph I., vervielfältigte sich die Anzahl der Pointen.
Übrigens, wie die Geschichte rund um das „Graue Rössl“ auf der Bühne erzählt wird, ist keineswegs geprobt oder festgelegt. Nur Figuren, Rahmenhandlung und Szenenabfolge mit Inhaltsangabe sind festgelegt. So ergeben sich bei jeder Vorstellung durch Improvisation und Spontanität sowohl für die Schauspieler als auch für das Publikum immer wieder neue und irrwitzige Situationen. Daher völlig aus dem Stegreif: Ich komme gerne wieder!
„Im grauen Rössl“
28.06., 16.07. & 18.08.24, Tschauner Bühne
Maroltingergasse 43, 1160 Wien, www.tschauner.at |